EIN WICHTIGER LERNFAKTOR IST DAS BEGEHEN VON FEHLERN

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Veröffentlicht wurde das Interview mit Jürg Baltensperger am 15. November 2022 von Andrea Diana Ritschel-Gotal auf everlearn.ch

«Viel wichtiger als die Frage, wo ich mich in fünf Jahren sehe, ist die Frage, ob ich mich in den letzten fünf Jahren habe weiterentwickeln können.»

Persönlich ist Jürg als Visionär und Unternehmer mit holistischem Ansatz bekannt. Er verbindet Ideen mit Macherqualitäten und teilt die Leidenschaft, Dinge aufzubauen und Visionen umzusetzen.

Mit seinem Team unterstützt er Finanzintermediäre im Blockchain-Umfeld beim Aufbau und der Strukturierung derer Unternehmen und hilft ihnen, die passende Lizenz und das bestmögliche Setup zu finden. Darüber hinaus nutzt er sein Wissen, um regulatorische Anforderungen mittels RegTech-Lösungen zu automatisieren und interne Kontrollsysteme aufzusetzen.

Jürg, du bist ein erfolgreicher Unternehmer und leitest seit über fünf Jahren deine eigene Firma. Wann hat es bei dir Klick gemacht, dass du dich selbstständig machen wolltest?

Als ich den Wechsel vom Leiter Risk, Legal & Compliance einer kleinen Privatbank zum Berater vollzogen hatte, war ich voller Motivation und Tatendrang. Ich habe quasi vom Kunden zum Dienstleiter für dieselbe Kundengruppe gewechselt, weshalb ich der Überzeugung war, die Kundeninteressen besonders gut zu kennen.

Zu meiner Ernüchterung fand ich mich wieder in einer Struktur, in der finanzielle Anreize höher gewichtet wurden als Kundeninteressen. Mein primärer Auftrag bestand darin, aus kleinen Problemen grosse zu machen und statt effiziente, digitale Lösungen zu finden, zeitaufwändige, manuelle Arbeit zu forcieren.

In einem solch innovationsfeindlichen, ökonomisch getriebenen Korsett war eine Weiterentwicklung für mich nicht möglich. Da war die Zeit reif, ein eigenes Konzept zu entwickeln, welches vereinbar ist mit meiner Berufsethik, wie auch mit meiner Vision einer kundenorientierten, technisch-unterstützten und skalierbaren Beratung. 

Jürg, erzähle uns bitte noch mehr von dir. Was waren bis anhin deine grössten Erfolge und welche Hürden musstest du bewältigen? Was hat dich heute zu dem gemacht, was du bist?

Mir hat einmal jemand gesagt, ein Lebenslauf soll eine Geschichte erzählen und die Gemeinsamkeit hinter den Aktivitäten zum Ausdruck bringen. Bei mir ist dies die Leidenschaft, eine Vision umzusetzen und so Neues entstehen zu lassen.

«Ich liebe Aufbauarbeit mit all ihren Facetten, Höhen und Tiefen, Unsicherheiten und Herausforderungen. Dies sind die Elemente, welche mir erlauben, mich weiterzuentwickeln. Ich habe in meiner beruflichen Laufbahn nie so viel lernen dürfen wie seit der Gründung von meinem Unternehmen, JayBee.»

Um neue Dinge entstehen zu lassen, verwende ich bekannte Elemente und kombiniere sie neu. So verbinden wir zum Beispiel bei JayBee die Elemente Lösungsorientierung mit einem risikobasierten Vorgehen und definieren unsere Dienstleistungen aus der Optik des Kunden. So landen wir zwangsläufig beim Einsatz technischer Lösungen, die wir auf die Bedürfnisse von Startups im FinTech & Blockchain-Bereich anpassen.

Ein weiteres Beispiel ist der Aufbau von zwei Gemeinschaftshäusern. Hier habe ich eine Anlagemöglichkeit mit dem Bedürfnis nach gemeinschaftlichem Wohnraum kombiniert und dabei die üblichen Hierarchiestufen von Haupt- und Untermieter eliminiert. Entstanden sind zwei moderne Wohnplattformen mit jeweils 8+ Bewohnern.

Natürlich gab es auch Rückschläge zu verzeichnen. Mein (teils wohl etwas zu) grosser Optimismus gepaart mit meinem Vertrauen in Menschen hat schon zu der einen oder anderen suboptimalen Besetzung geführt. Auch mit Marketingdienstleistern hatte ich nicht immer ein goldiges Händchen.

Auf welchen Werten beruhen deine täglichen Handlungen und Entscheidungen?

Wenn sich Menschen an Orten engagieren, wo sie sich entfalten können, sind sie mit viel mehr Herzblut dabei. Deshalb ist es wichtig, für alle (inkl. mich selber) den passenden Platz und die passende Rolle zu finden. 

«Aber was uns am Ende verbindet, und zu einem Team zusammenwachsen lässt, sind gemeinsame Ziele und gemeinsame Werte.»

Besonders betonen möchte ich Offenheit, Fairness und die Unterordnung unter ein gemeinsames Ziel.

Welche Rituale hast du in deinem Alltag integriert? Wie sieht die erste Stunde deines Tages aus? Wie schaltest du privat ab? 

Der Tag beginnt bei mir klassisch mit Kaffee, einer Dusche und einem ersten Blick auf das Smartphone. 

Sämtliche Versuche, ein Morgenritual einzuführen sind bis jetzt kläglich gescheitert. Dies wohl nicht zuletzt deshalb, weil mein Kopf bereits kurz nach dem Aufstehen tief in der Arbeit steckt.

Um den Belastungen standhalten zu können, setze ich auf eine gesunde Ernährung, viel Sport, den (weitgehenden) Verzicht auf Alkohol und vor allem viel Schlaf. Für entspannende Momente sorgen meine Freunde, meine Familie, einige kleinere Hobbies und ein guter Film auf der Couch.

Was ist deine Vision im Hinblick auf die Arbeitswelt von morgen?

Bei JayBee arbeiten wir heute bereits schon an flexibel wählbaren Orten. Beispielsweise arbeite ich heute in einer Bibliothek. Ich gehe davon aus, dass sich dieser Trend, welchen wir aus dem IT-Umfeld schon länger kennen, fortsetzen wird.

«Auch haben wir unlängst entschieden, eine flache Struktur zu verwenden und auf starre Hierarchien zu verzichten. Dies scheint ein Bedürfnis der jüngeren Generation zu sein und gleichzeitig Vorteile für die Unternehmensführung zu bieten.»

Eines aber wird bleiben: der Fokus auf Resultate. Am Ende des Tages zählt, was wir mit unserem Einsatz und unserer Energie haben verändern können. Und wie viel Spass wir dabei haben. 

Jürg, welche Rolle spielen deiner Meinung nach Weiterbildung und Umschulung von berufstätigen Menschen und was empfiehlst du konkret?

Eine erfolgreiche Karriere basiert meiner Ansicht nach auf einer ausgewogenen Mischung zwischen Theorie, sprich Weiterbildung, und Praxis.  

Wer sehr viel in Weiterbildung investiert und die praktische Umsetzung vernachlässigt, wird keine effizienten, risikobasierten Lösungen anbieten können.  

«Wer nach der Grundausbildung ausschliesslich auf Praxisgewinn setzt, wird sich über kurz oder lang vom aktuellen Erkenntnisstand entfernen und mit der exponentiellen digitalen Entwicklung nicht Schritt halten können.»

Ich empfehle, die Vergrösserung von Wissen und die Vertiefung der Erfahrung jeweils parallel zu gestalten. Wer neu erworbenes Wissen gleich anwenden kann, ist klar im Vorteil.

Du bist seit Jahren auch als Dozent an der HWZ und der ZHAW tätig. Welches sind deine drei wichtigsten Ratschläge für deine Student*innen?  

Man lernt primär durch die Erarbeitung des Stoffes. Also soll jede Chance genutzt werden, sich einzubringen, eine aktive Rolle einzunehmen und mitzudenken.

«Ein weiterer wichtiger Lernfaktor ist das Begehen von Fehlern. In einer geschützten akademischen Umgebung ist dies problemlos möglich und soll unbedingt genutzt werden.»

Fragen stellen, nie aufhören Fragen zu stellen. Jemand hat einmal gesagt, wer eine Frage stellt, ist ein Idiot für einen Augenblick, wer die Frage nicht stellt, ist ein Idiot fürs Leben.

Bildung ist ein grosses Privileg. Sie ist aber nur so viel wert, wie das, was wir als Studenten aus ihr machen.

Was sind deiner Meinung nach die wichtigsten Skills im heutigen Berufsleben?

Die Anforderungen in fast allen Berufsbereichen entwickeln sich meines Erachtens in Richtung Software (Anwender-) Kompetenzen. 

Fast jedes Anforderungsprofil ist bereits oder wird um IT-Kompetenzen ergänzt. Es reicht dabei aus, vertiefte Anwenderkenntnisse aufzubauen. Deshalb haben wir an der HWZ unter anderem auch den CAS Digital Compliance Officer aufgesetzt.

Wenn du dich auf nur einen Skill fokussieren müsstest, welcher wäre das?

Die Fähigkeit zur Improvisation oder anders ausgedrückt, die Fähigkeit mit einer bis Dato unbekannten Aufgabe etwas anfangen zu können. Das bedingt eine strukturierte, logische Denkfähigkeit.

Diese könnte anhand einer Aufgabe aus einem Vorstellungsgespräch eines Freundes auch selber getestet werden. Er wurde gefragt, wie viel Liter Wein pro Wochenende in Zürich konsumiert wird. Viel Spass damit!

Welchen ausserirdischen Super-Skill hättest du gerne und warum?

Gelassenheit. Dies ist zwar kein ausserirdischer Super-Skill aber für mich erscheint eine entspannte Gelassenheit meist ausserirdisch weit weg. Ich erreiche diesen Zustand praktisch nur durch Dokumentarfilme über die Entstehung und die Grösse des Weltalls. Das relativiert.

LINK: zum everlearn.ch Artikel

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